Die alte Glashütte

Jedes Kind im Osten kannte die Flaschen, die hier vom Band liefen. Die Glashütte  war der einzige DDR-Produzent von 0,5-Liter-Milchflaschen: 345.000 Flaschen, nicht nur für Milch, wurden täglich in der Glashütte gefertigt. Das Werk galt Ende der 1980er als eines der modernsten der DDR. Und heute? Alles verlassen, vergessen, verrottet. Die beiden weithin sichtbaren Schornsteine sind ein Orientierungspunkt aus der Ferne, doch aus der Nähe sieht man, dass das, was vor gut 30 Jahren eine florierende Fabrik war, nur noch eine Ruinenlandschaft ist. 1992 wurde die Glashütte stillgelegt. Ohne das Gelände ordnungsgemäß zu räumen: Zurück blieben Hunderte Tonnen Chemikalien.Eingestürzte Dächer, zerschlagene Fenster, umgestürzte Mauern, wohin man schaut. Die Tore stehen offen, auch die Türen im Gebäude zur Straße. Nicht ein Schild warnt vor dem Betreten des Geländes.

Das Ende des Dorfes ist eine Geschichte, wie sie nach der Wende vielfach passierte. Eine funktionierende Fabrik wird von der Treuhand an einen Investor aus dem Westen verscherbelt. Doch statt zu investieren, werden die Maschinen abgebaut und verschwinden. Im Juli 1992 ist Schluss, 1280 Beschäftigte verlieren ihre Jobs.

Und damit beginnt der Niedergang des kleinen Örtchens, das von der Fabrik lebte. Als 1993 auch noch bekannt gegeben wird, dass der Ort dem Tagebau  weichen soll, ziehen immer mehr Menschen weg. Wohnten hier 1987 noch 832 Einwohner, sind es knapp 20 Jahre später gerade noch 662 – 93 davon arbeitslos.

Bis 2006 sind die Einwohner umgesiedelt, zwei Jahre zuvor beginnen die Abbrucharbeiten. Doch die ehemalige Glashütte bleibt unangetastet, weil die Eigentumsverhältnisse bis heute ungeklärt sind. Und damit bleiben auch die Rohstoffe, die einst zur Glasherstellung benötigt wurden, ungesichert auf dem Gelände zurück.

Betritt man das Gelände durch die Hofeinfahrt, fallen einem als Erstes zehn Gefahrgutcontainer für Sondermüll auf. In den feuerverzinkten Containern schwappt dunkles Schweröl herum, die Sicherheitsverriegelung steht offen. Am anderen Ende des Geländes stehen offene Schuttcontainer mit aufgerissenen Säcken und der Aufschrift: „Achtung: Inhalt kann krebserzeugende Faserstoffe freisetzen“. Wind und Wetter ausgesetzt, ist alles zu einer dunklen, ausgehärteten Masse zusammengelaufen.

In zwei benachbarten Lagerhallen mitten auf dem Areal stapeln sich Chemikalien. Hunderte Gebinde mit reinem Kaliumcarbonat (kann Haut-, Atemwegs- und Augenreizungen verursachen) –  jedes 1000 Kilogramm schwer. Hergestellt in Taiwan (Taiwan Pulp & Paper Co.) und Südkorea (Korea Potassium Chemical Co. Ltd.).

Die Lagerhallen sind auch nur noch Ruinen, Teile der Dächer sind eingestürzt, es regnet rein, viele Gebinde sind aufgeplatzt. „Das Kaliumcarbonat sollte nicht in größeren Mengen auswaschen und in die Umwelt geschwemmt werden“, warnt Chemiker Dr. Ansgar Wennemer vom TÜV Rheinland. Denn trifft Kaliumcarbonat auf Wasser, entsteht eine alkalische Lösung, also eine Lauge. Unerklärlich auch, dass dieser Rohstoffschatz, und das ist er, hier verrottet. Eine Tonne Kaliumcarbonat kostet immerhin über 1200 Euro.

Aber nicht nur Chemikalien, sondern auch das Vermächtnis der Glashütte wurde bei Schließung der Fabrik zurückgelassen. In einer Baracke neben den Lagerhallen liegen auf dem Boden unzählige historische technische Zeichnungen – unter anderem von den Flaschen, die hier einst entworfen und hergestellt wurden.

Wie es hier weitergeht? Die Firma, der der Tagebau  gehört, möchte hier Braunkohle abbauen. Aber bisher wurde mit dem Insolvenzverwalter des Geländes noch keine Einigung über den Kaufpreis erzieht. „Und deshalb sieht es hier so aus, wie es aussieht“, heißt es bei der Firma.

 

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